Kauertz Heinrich

Das Vorster Original

Im Monat Oktober 1937 – nach einem Turnabend im Saal von Küppers Mina – habe ich zuerst das Lied vom Kauertz Hein(e)rich vorgesungen. Die Turnbrüder waren sofort begeistert und meinten, dass sei ein richtiger Karnevalsschlager, der bestimmt ankommen würde. Wir haben dann das Lied noch einige Male geprobt und sind dann eines Abends nach Krefeld zum Musikhaus Lenzola auf dem Ostwall gefahren und haben dort mit zehn Turnkameraden eine Platte besungen. Zur damaligen Zeit kannte man noch keine Tonbänder. In Vorst angekommen, gings sofort zu Goertsches Gustav, unserem Vereinsvorsitzenden. Er hatte eine Gastwirtschaft und Bäkkerei. Unter einem Vorwand haben wir den Plattenspieler angestellt, die neue Platte vom Kauertz Hein(e)rich aufgelegt und abgespielt. Es war der 11.11.1937. Die ganze Wirtschaft war besetzt, unter anderem war auch die Musikkapelle anwesend, die im Martinszug mitgespielt hatte. Unsere Platte wurde gleich nach den Abendnachrichten im Lautsprecher übertragen. Es war eine Sensation. Immer wieder wurde die Platte abgespielt und nach kurzen Proben spielte die Musikkapelle mit. Der Trubel ging bis zum frühen Morgen.

Am nächsten Tag war es das Dorfgespräch Nummer Eins. Einige Tage danach erschien auch Kauertz Hein(e)rich bei Goertsches, um sich ein Brot zu kaufen. Nachher trank er noch ein Schnäpschen und auf einmal ertönte der Honigmarsch vom Kauertz Hein(e)rich. Wir stellten uns dumm, da plötzlich stieß Heinrich mich ganz aufgeregt an und meinte: „Wat sässe dann noe, luster enns, ech bönn en et Radio.“ Er stieß mich noch mal an und sagte: „Noe hüür mar, dat bönn ech, et jöfft doch blues eene Kauertz Hein(e)rich, dä möt Honig fährt.“ Nach der ersten Begeisterung haben wir dann alle mitgesungen und Heinrich über den Sachverhalt aufgeklärt und ihm mitgeteilt, dass wir an den kommenden Karnevalstagen das Lied singen möchten; wir wollten tüchtig für seinen türkischen Honig Reklame machen. Heinrich war voll einverstanden und zog befriedigt von dannen.

Nach zwei Wochen kam er jedoch mit einer bitterbösen Miene zu mir und meinte: „Sääg, Männeke, dat mot noe ävvel bald ophüüre, dat jeht neet sue wier. Ech konn mech nörjes miehr siehn loete. Komm ech enne Bus, dann jeht et loss – komm ech en de Wirtschaft, dann jeht et loss, komm ech oppe Maart, dann jeht et loss – joa, doa kömmt däe Kauertz Hein(e)rich usw. Maak dat enns möt. Wat tu vüel ös, ös zu vüel; et jeht neet miehr, ech kriech kenn Rau miehr.“ Ich wollte ihm klar machen, dass es schon aufhören würde, aber Heinrich ließ nicht locker und drohte schließlich massiv mit dem Schiedsmann. Unsere Unterhaltung wurde natürlich im Dorf breit getreten und umsomehr wurde der Heinrich besungen.

Am ersten Karnevalsabend hatte Heinrich sich an der Saaltür bei Küppers eingefunden. Ich wollte ihn mit in den Saal führen, aber er lehnte ab mit der Bemerkung: „Ech well blues hüüre, ovv ihr üever mech jett sengt on dat konn ech dech sägge, dann bösse draan.“ Ich habe dann unverzüglich den Elferrat über die Lage aufgeklärt. Der ganze Elferrat ging sofort durch den Bühnenausgang und übertölpete Heinrich an der Saaltür. Man umringte ihn, setzte ihm eine Karnevalsmütze auf, man packte ihn in den Arm, einer gab der Musik ein Zeichen und los gings in den Saal mit dem Marsch „Joa, doe kömmt däe Kauertz Hein(e)rich.“ Es war wie beim Einzug der Gladiatoren. Heinrich war der Mittelpunkt. Alle sangen mit. Die Leute standen auf den Bänken und Tischen. Auf der Bühne musste sich dann der Bedichtete und der Dichter wieder öffentlich versöhnen. Heinrich erhielt das Recht zugesprochen, dass er an allen Karnevalstagen mit seinem Wägelchen im Saale erscheinen dürfe, um dort seine Waren feilzubieten. Heinrich machte an diesen Tagen die Geschäfte seines Lebens. Er verkaufte neben dem Hauptschlager Honig auch Liebesperlen, Kokusnussstückchen und allerlei Süßigkeiten. Fast jeder Karnevalsfreund kaufte, um Heinrich eine Freude zu machen.

Als das Jahr vergangen war und die ersten Anzeichen vom neuen Karneval zu bemerken waren, fand sich eines Tages auch Heinrich bei mir ein. Er druckste herum und meinte dann schließlich: „Sääk, doe häss doch et vörije Joer von mech dat Leed jemäckt, doe wetts joa, wat wee sue döchtisch zaame jesonge habbe – et hät prima jeschoete, on noe wollden ech dech enns froere, oppe det Joer neet noch en Leedche von mech maake köös?“ Ich musste ihm leider klar machen, dass das nicht möglich sei und dass wir uns schon für ein anderes Liedchen entschieden hätten. Heinrich schüttelte den Kopf und meinte: „Dat vörstonn ech neet“ und zog von dannen. Vor einigen Jahren, ein paar Monate vor seinem Tod, erschien in Vorst auf dem Kirmesmarkt ein Team vom Fernsehen und interviewte Heinrich Kauertz bei seiner Tätigkeit als Honigverkäufer. Das war meines Wissens sein letzter öffentlicher Auftritt.

(aus dem Buch „För jeddem jett“ von Walter Lehnen mit freundlicher Genehmigung der Firma ALWOdruck und Verlages, Krefeld).

WDR Fernsehbeiträge über Kauertz Heinrich

Das Lied von „Kauertz Hein(e)rich

von Walter Lehnen †


Tonaufzeichnung vom Treffen der Heimatfreunde am 14. März 1978
in der damaligen Gaststätte “Zum schwarzen Pferd”:

Liedtext:
Wenn èm Dorp ènnè Festdaach ös,
Kermès ovv Nöijoèr,
wenn dii Blaare habbè Jroschès ènnè Täsch,
dat Wäèr ös ennijermaßèn kloèr:

Joa, dann kömmt däè Kauèrtz Hein(è)rich,
däè wonnt ènnè Vossènhött,
däè hät een kleen jrön Wäjèlkè
on brengt däè Honig möt.
Däè Henn hält döchtisch langès däè Knupp,
dat däè Honig mar suè spött,
on hät hä dann dinnè Jroschè ènnè Täsch,
kress doè jett Honig möt.

Wenn däè ièrschdè Peljèr kömmt,
dii Schöttè send op Jang.
Wenn däè Maart voll Krömkès steht,
dii Buurè kommè von èt Lank:

Joa, dann kömmt däè Kauèrtz Hein(è)rich,
däè wonnt . . .

Wenn èt dann op èt Eng aanjeht,
dii Kermès ös vorbee,
wenn däè letzdè Daler wörd vörkimmèlt,
ör hat mar bluès noch Kleen,

Joa, dann kömmt däè Kauèrtz Hein(è)rich,
däè wonnt . . .

Däè Henn kickt noè von boèvè tu,
hä neckt däè Kopp on sätt:
„Ör Vöörschtèr maakt öch döchtisch Fröid‘,
solang èt evvkès jeht –
on kömmt för öch dii Tiit èraan,
woè èt Avschiid näèmè hett,
dann denkt bluès an Kauèrtz Hein(è)rich,
däè hee boèvè och möt Honig steht.

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